Etwas, was man sich bisher nicht vorstellen konnte ist eingetreten. Krieg in Europa. Russland ist in die Ukraine einmarschiert, ist somit ein Aggressor und hat sich damit vordergründig ins Unrecht gesetzt. Das ist nicht zu bestreiten. Allerdings hat dieser Konflikt eine lange Vorgeschichte und die sich heute als die Guten gerierenden und „haltet den Dieb“ rufenden sind nicht unschuldig an der jetzigen Situation. Auch dieser Krieg hat letztlich mehr als einen Vater, unzählige Leidtragende und einige, die auch noch aus diesem Unglück Honig saugen.
Zunächst läuft auf beiden Seiten ein Propagandakrieg, die Propaganda ist übermächtig. Anne Morelli beschreibt die Prinzipien der Kriegspropaganda wie folgt:
- Wir wollen den Krieg nicht
- Der Gegner ist schuld
- Der Führer des Gegners ist ein Teufel
- Wir kämpfen für die gute Sache
- Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen
- Der Gegner begeht Grausamkeiten, wir nur versehentlich
- Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm
- Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache
- Unsere Mission ist heilig
- Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter
Kommt uns davon etwas bekannt vor? Vielleicht alles? Genau nach diesem Schema läuft es, auf beiden Seiten.
Wem kann man noch glauben?
Niemanden. Sie lügen alle. Immer. In Russland können ausländische Nachrichten nicht empfangen werden, bei uns keine russischen. Unabhängige Medien werden überall zensiert um das Meinungsmonopol der Staatsmedien nicht zu gefährden. Es ist nicht besonders schwierig, die Sperren zu umgehen und beispielsweise RTdeutsch weiter zu lesen, aber was nutzt es? Weiß man dadurch besser, was passiert?
Unseren Medien kann man schon deshalb nicht glauben, weil die Berichterstattung der letzten zwei Jahre zu Corona ein einziges zweckgerichtetes Gespinst aus Staatspropaganda, Halbwahrheiten und Weglassungen war. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.
Gegenseitige Bezichtigungen von Kriegsverbrechen, Zivilisten als Schutzschirme und Angriffe auf zivile Ziele werden gegenseitig erhoben, von beiden Seiten Fake News und Durchhalteparolen. Der Propagandakrieg tobt. Ein objektives Bild hat in der Öffentlichkeit keine der Seiten.
Wie auch immer, wichtig ist nur, was die Masse glaubt und den Propagandakrieg hat Putin, zumindest hier im Westen, verloren.
Der lange Weg zum großen Krieg
Jeder, der angesichts des Leids der Zivilbevölkerung in der Ukraine zu den Ursachen auch nur das kleinste „Aber“ anmerken möchte, wird bei uns medial erledigt, stirbt den sozialen Tod. Und trotzdem gibt es hier ein „Aber“, eine Kausalkette, in Gang gesetzt und stetig weitergeführt derart, dass es nur noch so enden konnte. Auch hier gab und gibt es Interessen und Nutznießer.
Zunächst einmal sind da zwei unbestrittene Tatsachen. Russland sieht sich weiterhin als, wenn auch gedemütigte, Großmacht. Die USA sehen sich als letzte und einzige Großmacht. Der Rest ist Geopolitik, deren Opfer schon immer die einfachen Menschen waren, Bauernopfer auf dem großen Schachbrett.
Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater in den USA hat in seinem Buch „Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ bereits vor über 25 Jahren beschrieben, worum es geht. Wer dieses Buch gelesen hat, versteht alles – auch die heutigen Ereignisse in der Ukraine erscheinen damit gesetzmäßig. Es musste so kommen und es sollte so kommen.
Es geht um die eurasische Landmasse, wer sie beherrscht, beherrscht die Welt. Russland ist dabei den Globalisten schon immer ein Dorn im Auge – sehen sie es doch als große geschichtliche Ungerechtigkeit an, dass die unermesslichen Reichtümer Sibiriens allein den Russen gehören. Wären sie doch in den Händen von Chevron und Exxon viel besser aufgehoben.
Ohne die Ukraine ist Russland keine Großmacht, nur noch Regionalmacht. Die Ukraine ist der Angelpunkt – der Punkt, an dem anzusetzen ist, um Russland endgültig zu degradieren und am Ende die eurasische Landmasse zu beherrschen. Zwar hat Brzezinski auch den Aufstieg Chinas mit behandelt, allerdings hat er deren vehementen Aufstieg so in Gänze nicht gesehen. Auch ist China im Verhältnis zur USA eher ein unsicherer Kantonist – ein nicht vollständig kalkulierbares Risiko für die amerikanischen Weltherrschaftsansprüche.
Wie vorgehen?
Zuerst macht man sich zu Nutze, dass die Ukraine ein zutiefst gespaltenes Land ist – im Osten in der Mehrheit Russen und eher Russland zugeneigt, im Westen Ukrainer, eher dem Westen zugeneigt. Die Ukrainer haben den russischen Bolschewiken die absichtlich herbeigeführte Hungersnot in den 1930er Jahren, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen, nie verziehen. Ein bisher nicht verheilter gesellschaftlicher Riss.
Weiterhin ist von Nutzen, dass es in den verantwortlichen Positionen des sich noch in der Selbstfindung befindenden Landes eine große Anzahl von Personen gibt, die schnell reich werden wollen. Der jetzige Zustand des Landes bezüglich des Korruptionsindexes - der dem einer Bananenrepublik entspricht - und die erkleckliche Anzahl von ukrainischen Oligarchen, zeigt, dass diesbezüglich in den letzten 30 Jahren viel passiert ist.
Dann putscht man eine unliebsame Regierung mit ausländischer Hilfe hinweg und installiert eine dem Westen und ganz speziell den USA hörige Regierung. So geschehen 2014. Die Eliten werden mit Versprechungen und Geld korrumpiert. Das Ganze muss nur ein wenig demokratisch aussehen und als Volkes Wille der staunenden Welt präsentiert werden.
Nun wird die Schraube Stück für Stück weitergedreht, es wird so lange weiter provoziert, bis entweder Russland klein beigibt oder die Nerven verliert.
Es mögen diejenigen, die schon immer an Kriegen verdient haben und deren Namen man nicht nennen darf, perfide und rücksichtslos sein – sie sind dabei aber zumindest genauso schlau und vorausschauend.
Dass es zu einem finalen Schlagabtausch auf dem Territorium der Ukraine früher oder später kommen musste, das wussten sie. Dieser wurde billigend in Kauf genommen, das zeigen die ablehnenden Reaktionen auf die Forderungen des Kreml, auf Verzicht der NATO-Mitgliedschaft, in den Monaten vor dem Krieg. Entscheidungen, mutmaßlich von außen diktiert. Der Gipfel war, dass der Präsident der Ukraine offen über die atomare Bewaffnung seines Landes innerhalb einer NATO-Mitgliedschaft sprach. Wer so redet, ist kein Präsident, der in Verantwortung für sein Volk spricht. Ein solcher redet wie ein unbedarftes Großmaul und wäre wohl besser das geblieben, was er war, ein Komiker.
Der Ukraine geht es ein wenig wie Deutschland vor über 100 Jahren. Damals war Deutschland die geopolitische Mitte Europas, wurde noch dazu wirtschaftlich übermächtig und musste gestutzt werden. Die Ukraine ist wirtschaftlich völlig am Boden, unter anderem auch deshalb, weil sich zuerst die Eliten und Oligarchen mit den ausländischen Hilfsgeldern die Taschen vollgemacht haben.
Die Ukraine ist jedoch das nach Osten gerückte geopolitische Herz, nicht nur Europas sondern Eurasiens. Wer die Ukraine beherrscht, hat Russland endgültig an den Katzentisch der Weltpolitik verwiesen.
Nur darum geht es. Nicht um Freiheit und Wohlstand – das sind Argumente für den Moralbürger.
Die wirklich Leidtragenden
Was will ein ganz normaler Mensch? Im Grunde gar nicht so viel. Er selbst und seine Familie wollen in Frieden leben können. Er möchte einer, seinen Fähigkeiten entsprechenden Arbeit nachgehen können, die ihm einen gewissen Wohlstand garantiert. Er möchte seine Kinder ins Leben begleiten und sehen, wie sie auf ihre Weise ihr Glück im Leben finden. Gern möchte er auch vom Staat und seinen Institutionen in Ruhe gelassen werden - schon immer und überall ein unerfüllter Wunsch.
So gesehen frage ich mich, was oder wer hat die sogenannten Eliten in der Ukraine geritten, die Eskalationsspirale immer weiter zu treiben? Minsk II lag auf dem Tisch, zu keiner Sekunde dachte die ukrainische Regierung daran, irgendeinen Punkt dieser Vereinbarung umzusetzen.
Alle reden immer vom Selbstbestimmungsrecht der Völker. Was wäre hier eigentlich das Problem gewesen:
Die Krim bleibt bei Russland, die Donbassrepubliken werden selbständig, die Ukraine verzichtet auf immer auf eine NATO-Mitgliedschaft. Die Ukraine könnte sogar eines fernen Tages, so sie ihr korruptes System einmal in den Griff bekommt, EU-Mitglied werden. Eine neutrale Ukraine als Brücke zwischen Ost und West.
Das lag von Anfang an auf dem Tisch und dort liegt es immer noch. Will man nicht. Das Argument, man wolle dem russischen Despotismus nicht nachgeben ist vorgeschoben. Hat man die Menschen gefragt? Die auf der Krim und im Donbass lebenden Menschen wollen russisch bleiben – warum lässt man sie nicht? Beim Kosovo ging es doch auch – Abspaltung von Serbien und Eigenständigkeit.
Der Krieg wäre nicht nötig gewesen. Den Menschen in der Ukraine wäre garantiert alles recht, wenn es nur endlich Frieden geben könnte. Stattdessen jetzt Krieg bis zum letzten Mann. Wessen Krieg? Vordergründig Russlands alleiniger Krieg. Aber wer ist der lachende Dritte?
Die Kriegsgewinnler
Die Großerzählung lautet, das ukrainische Volk würde seine und Europas Freiheit verteidigen. Was für ein Unsinn. Man redet immer vom „Volk“, in dessen Namen man sprechen würde und verlängert in Wirklichkeit das Leid der Menschen indem der Konflikt durch Waffenlieferungen weiter eskaliert wird. Was verspricht man sich davon?
Die Ukrainer sind die Opfer geopolitischer Machtspiele, die Opfer des Gegensatzes Russland-USA. Der Konflikt wird jetzt auf dem Boden der Ukraine final ausgefochten. Opfer sind die einfachen Menschen, in der Ukraine und Europa.
Am Ende verlieren alle, Armut in Russland und Europa, eine total zerstörte Ukraine. Der Konflikt wird eher eskaliert als deeskaliert. Insbesondere in den USA gibt es Kreise, die am Waffenexport prächtig verdienen und solange die Wirtschaft dort weniger betroffen ist als in Europa, dürfen sich Europäer und Russen auf ukrainischen Boden gern noch lange gegenseitig ruinieren.
Die Rüstungskonzerne sind die großen Gewinner, die Abhängigkeit Europas von den USA wird größer.
Wie weiter?
Der Durchhalteparolen auf beiden Seiten ist kein Ende und man mag es drehen und wenden, wie man will – Russland wird nicht besiegt werden und Putin wird nicht im Atombunker hinter dem Ural Selbstmord begehen.
Die Möglichkeit eines Atomkrieges will ich ausschließen. Ich muss mich zwar sehr wundern über einige meiner Zeitgenossen – Angst vor Kernkraftwerken und Corona aber ein wenig Atomkrieg könnte es dann doch schon sein – so jedenfalls, wenn man einige durchgeknallte Zeitungsartikel oder Bemerkungen in den Kommentarspalten einiger Online-Artikel liest. Aber nein, so suizidal kann niemand sein. Warum auch, ein langer, zerstörerischer konventioneller Krieg ist am Ende für die Globalisten auch ganz nützlich.
Ich weiß, das ist nicht en vogue, aber ein wahrer Held wäre Selenski, wenn er den Kampf aufgibt, Waffenstillstand und sofortiger Frieden und Verhandlungen unter den Augen der Weltöffentlichkeit mit dem Ziel der sogenannten "österreichischen Lösung". Die Österreicher leben seit Jahrzehnten hervorragend mit ihrer Neutralität – was wäre das Problem? Es wäre garantiert im Sinne „seines“ Volkes. Oder hat er Einflüsterer, die ihn weiter anstacheln? Was soll aus seiner Sicht ein realistisches Ziel sein? Ich habe es noch nicht verstanden. Außer des Rufs nach Waffen und der unrealistischen Forderung nach Flugverbotszonen - und dies in oftmals unverschämten Ton vorgetragen - habe ich von ihm bisher keine vernünftigen Vorschläge gehört, die den Krieg beenden würden.
Der Ausgang auf lange Sicht ist offener denn je. Noch ist nicht klar, ob der „West-Mensch“ auch wirklich bereit ist, Massenverarmung für einen fremden Konflikt auszuhalten. Da ist der „russische Mensch“ leidensfähiger.
Auch ist völlig offen, ob die Wirtschaft Russlands wirklich am Krieg zugrunde geht. Im Westen wird zwar ständig davon gesprochen, Russland stünde allein da. Das ist aber grundfalsch und eine Wunschvorstellung. Der sogenannte Westen, das ist Nordamerika, Australien und Europa – und das ist nicht die gesamte Welt, auch wenn sie sich selbst gern dafür halten.
Wenn Russland und China enger zusammenrücken und dies dauerhaft so bleibt, hat der Westen am Ende verloren. Die Globalisierung im herkömmlichen Sinne ist zu Ende, wir haben eine bipolare Welt mit zwei Lagern, die sich feindlich gegenüberstehen und einen neuen eisernen Vorhang, diesmal weiter östlich.